Trier. Das Stadtarchiv Trier und die Wissenschaftlichen Bibliothek laden ein, auf eine Reise in die Vergangenheit zu gehen. Genau der Frage, was zwischen 1923 und 1933 in Trier geschah und wie die großen Zeitläufe auf die Moselstadt einwirkten, geht das Stadtarchiv mit seiner kürzlich gestarteten, vielfältigen Reihe nach.
1923 war ein besonderes Jahr der deutschen Geschichte: 100 Jahre später weckt es großes Interesse, was unter anderem mehrere Buchneuerscheinungen zeigen. Einige Sachbücher beschäftigen sich mit dem „Deutschen Trauma“, wie der Autor Mark Jones untertitelt. Sein Buch gehört als Objekt des Monats Januar der Wissenschaftlichen Bibliothek zugleich zu der neuen Themenreihe „Trier 1923-1933. Zwischen Demokratie und Diktatur“ des Stadtarchivs.
Der 1981 geborene Historiker Mark Jones, Assistant Professor am University College Dublin, präsentiert das Krisenjahr aus einer besonderen Perspektive: Sein Buch ist im Original an ein englischsprachiges Publikum adressiert, das diese Geschehnisse nicht aus dem Unterricht kennt. Daher setzt er die deutsche Geschichte in einen internationalen Kontext und bietet eine breitere Analyse an. Der Autor erklärt auch, welche Rolle die europäischen Mächte in diesem „annus horribilis“ spielten. Sein Blick richtet sich vor allem auf Berlin, München und das Ruhrgebiet. Er stellt die Politiker, nationalistische Ideologen und Intellektuelle vor, schildert die alliierte Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg, die große Not der deutschen Bevölkerung durch die Wirtschaftskrise und den aufkeimenden Nationalismus. Ausgangspunkt seiner chronologischen Darstellung sind Einzelschicksale, basierend auf neu erschlossenen Quellen aus europäischen Archiven. Dadurch gelingt es ihm, sich einer klinisch reinen Version der Geschichte zu entziehen. So sind etwa Zahlen und Fakten zu Vergewaltigungen als Bestandteil der französischen Besatzungspolitik mit konkreten Aussagen der betroffenen Frauen verflochten, was bei der Lektüre tief berühren und zum Nachdenken anregen kann.
Man stellt mit Erstaunen fest, dass manche Namen wie Max Erwin von Scheubner-Richter, eine Führungsfigur in der Frühphase der NSDAP, kaum im deutschen kollektiven Gedächtnis präsent sind. Das zeigt, dass Jones Sichtweise Neues aufdeckt, weil die Geschichte zu oft durch die nationale Brille gesehen wird. Auch weitere Bücher über das Jahr 1923 sind lesenswert. Christian Bommarius, Jutta Hoffritz, Peter Longerich, Peter Süß, Ralf Georg Reuth oder Volker Ullrich bieten neue Einblicke. Das Spektrum reicht vom Ruhrkampf über die Separatistenbewegung bis zum Hitlerputsch.
Die Bücher bewegen sich zwischen dem Faktenreichtum eines Sachbuchs und dem leichteren Ton eines Feuilletons voller Impressionen nach dem erfolgreichen Vorbild des Journalisten Florian Ilies. Sein gute zehn Jahre alter Bestseller „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ ist als Vergleich sehr empfehlenswert. Einige Figuren, wie Franz Kafka oder Rainer Maria Rilke, trifft man 1923 wieder. Unabhängig davon, welches Buch über 1923 man wählt, lohnt es sich, „1913“ zu lesen, um zu reflektieren, was in diesen zehn Jahren passiert ist. Genauso wichtig ist die Frage, was eine Dekade später geschah. Zum Jahr 1933 gibt bislang keine vergleichbare Auswahl an neuen Sachbüchern. Sehr eindrücklich ist jedoch Uwe Wittstocks Roman „Februar 33“.
Genau der Frage, was zwischen 1923 und 1933 in Trier geschah und wie die großen Zeitläufe auf die Moselstadt einwirkten, geht das Stadtarchiv mit seiner kürzlich gestarteten, vielfältigen Reihe nach. Eine Ausstellung über den Besuch von Reichpräsident Paul von Hindenburg 1930 ist bis 26. Februar im Foyer von Wissenschaftlicher Bibliothek und Stadtarchiv im Haus an der Weberbach zu sehen. 1923 war auch in Trier eine Separatistenbewegung aktiv und die Wirtschaftskrise deutlich spürbar. In diesem Jahr wurde auch die „Neue Frau“ sichtbar: Damals kehrte die Autorin Gertrud Schloss zurück. Sie sorgte in den nächsten Jahren für Aufsehen, weil sie Männerkleider trug und mitunter im scharfen Ton politische Artikel und satirische Texte veröffentlichte. Das war vorher in Trier eher eine Männerdomäne.
Die Dekade zwischen Demokratie und Diktatur prägt die Stadt bis heute. 1924 begann die Ära des Rundfunks, ein Medium, das immer noch im Alltag präsent ist. Auch die wirtschaftliche Lage der 1920er Jahre beeinflusste die Kulturlandschaft: In den Notjahren in Zewen angelegte Erdbeerbeete, die 1930 zirka vier Hektar umfassten, sind immer noch fester Bestandteil dieses Stadtteils.
Es lohnt sich also, mit dem Stadtarchiv und der Wissenschaftlichen Bibliothek auf diese Reise in die Vergangenheit zu gehen. Die Themenreihe und die ausgewählten Sachbücher verraten nicht nur Wissenswertes über die Geschichte der Region, sondern führen auch die Brüchigkeit der Demokratie in den letzten 100 Jahren vor Augen.
Verwendete Quellen:
- Stadt Trier, Pressemitteilung 09.01.2023